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NIKOLAIKIRCHE FELSBERG

Erbaut um das Jahr 1320



Bei Umbauarbeiten im Jahr 1882 wurde im Fundament des Chorraums in etwa 1 m Tiefe ein Stein mit der Jahreszahl 808 entdeckt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Kirche vor ihrer Entwicklung bis zum heutigen Aussehen eine Vorgängerin gehabt haben könnte, die damit in die karolingische Zeit gehören würde. Zu denken wäre in karolingischer Zeit an eine kleine Taufkapelle am Fuße des heutigen Burgbergs, der zu dieser Zeit aber noch keine Burg getragen hat. Die seit 1320 bis heute gewachsene Nikolaikirche hätte dann diese Taufkapelle ersetzt, gemäß einer alten Regel geweihter Kultstätten: „Einmal heilig, immer heilig.“


Am 28. Mai 1247 verlieh Her­zog Heinrich von Brabant das Patronatsrecht über die Pfarrei zu Felsberg, dem Deut­schen Orden zu Marburg.


Die Kirche unterhalb des Burgbergs wurde dem heiligen Nikolaus geweiht und trug neben dem Namen „Stadtkirche“ den geistlichen Namen „St. Nikolaus“ in katholischer Zeit. Nikolaus gilt als „Schutzheiliger“ der Seeleute, aber auch der Flußschiffer. Die Eder wurde mit Frachtbooten befahren.


Nach der Synode von Homberg – 1526 – nahm die hiesige Kirchengemeinde gleichzeitig mit allen in der niederhessischen Nachbarschaft das reformatorische Bekenntnis an.


Im Jahre 1640 wurde bei einem großen Brand in Felsberg, der nichts mit dem 30jährigen Krieg zu tun hatte, die Kirche bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Aus Mangel an Baugeld dauerte es bis Anfang des 18. Jahrhunderts bis die Kirche wieder hergerichtet werden konnte. Übrigens fiel dem Brand noch eine weitere, die bis dahin jüngste Kirche der Stadt, zum Opfer, nämlich die Marienkirche zum Haine. Mit der Pankratiuskapelle auf der Burg und der Jakobskirche auf dem Friedhof konnten die Felsberger damals in insgesamt vier Kirchen Gottesdienste feiern.


Am 24. April 1809 hob Jerôme, König von Westfalen, den Deutschen Orden auf. Das Pa­tronatsrecht über die hiesige Pfarrei fiel an den Staat (bis zum Jahr 2004 teilten sich die Patronatsrechte und –pflichten die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Stadt Felsberg.  2005 mussten die städtischen Baulastverpflichtungen landeskirchenweit abgelöst werden.)


1882 bis 1884 geschah der Umbau des Innenraumes in neugotischem Stil. Im Zusam­menhang mit diesem Umbau wurden 3 Fenster an der Bergseite des Kirchenschiffes eingebaut.


Nach dem 2. Weltkrieg erhielt die Kirche im Jahr 1947 lediglich einen neuen Innen­anstrich.


1972 wurde die Kirche unter der Auflage des Landeskonservators, dass der neugotische Innenausbau erhalten bleibe, nach 90 Jahren einmal wieder gründlich renoviert. Der Landeskonservator erlaubte dabei, dass die Jugendstil-Ornamentik im Altarraum unter den Fenstern überstrichen werden durfte, der Mittelgang einem Sitzblock wich, die zweistöckige Empore auf eine Etage reduziert wurde und außerdem vom Altarraum aus gesehen um ca. 2 m verkürzt werden durfte.  In diesem Zusammenhang wurde wegen der fehlenden oberen Emporenetage der Kanzelfuß verkürzt und der Kanzelbaldachin ganz abgenommen. Auch wurde die Symmetrie zweier Treppenaufgänge zur Empore aufge­hoben und der Treppenaufgang zur Stadtseite durch einen Schaltschrank ersetzt. Letzter Eingriff zugunsten moderner Technik: In die Sakristei wurde eine Heizung eingebaut, die warme Umluft über Schächte im Fußboden in den Kirchenraum bläst.


1974 baute Firma Bosch, Niestetal, eine neue zweimanualige Orgel. Zur Kostenersparnis wurde leider der neugotische Orgelprospekt nicht renoviert, sondern in einfacher Kasten­form gestaltet.


1987 konnten 3 neue Glocken bei Fa. Rincker, Sinn, gegossen werden, die das vorhandene Zweiergeläut einer Glocke von 1532 und einer von 1709 ergänzten. Bis zu 5 Glocken erklingen dem Sinn des Kirchenjahres entsprechend sonn- und feiertags in verschiedenen Kombi­na­tionen. Neben der zum Gebet einladenden Tageszeitenglocke erklingt der neun-malige Gebetsschlag auf der großen Glocke von 1709. Der Glockenneuguss von 1987 wurde zu 100 % spendenfinanziert.


1996 wurde mit Hilfe der Landeskirche und der Stadt Felsberg die Nikolaikirche erneut renoviert. Sie erhielt wieder einen Mittelgang, neue Farbgestaltung in der Technik der Maserierung. Auch konnte der restaurierte und beinahe in Vergessenheit geratene Kan­zelbaldachin wieder angebracht werden. Eine Baufirma stiftete die Erweiterung der Empore vor der Orgel, so dass von dort aus gut mit Chören musiziert werden kann.


Da in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts der Kirchenvorstand die reformierte Tra­dition aus dem Gemeindenamen strich, wurden auch Annäherungen an die lutherische Tra­dition wieder möglich, die nie die Kunst aus den Kirchenräumen so verbannt hatte wie ihre reformierte Schwester. So wurde bei der Renovierung von 1972 bereits ein großes Holz­kreuz mit Korpus angeschafft und die Taufschale durch einen eigenen neuen Taufstein aus Sandstein ersetzt.


Vollends der Kunst öffnete sich der Kirchenvorstand ganz am Ende des 20. Jahrhunderts und ließ durch den Kasseler Bildhauer, Andreas Tollhopf, ein Weihnachtsrelief auf Eichen­holz für den Altarraum der Nikolaikirche gestalten. Durch den Kunstgriff, Maria und Josef in gehockter Stellung abzubilden, wurde auf 2 qm Holz originale Körpergröße möglich. Außerdem verband auf Wunsch des Kirchenvorstands der Künstler die biblische Weihnachtsgeschichte mit der Legende von der weißen Frau auf der Felsburg. Die ge­drechselte Rose aus der Legende und der Weihnachtsstern sind der verbindende Punkt. 1998 erfreute das Relief zur Weihnachtszeit zum ersten Mal die Gemeinde.


Die Begeisterung in Felsberg über das Weihnachtsrelief war so groß, dass der Kirchenvor­stand ein zweites Relief auf der Rückseite vom Bildhauer arbeiten ließ, das die Oster­geschichte nach Johannes 21, Jesus mit seinen Jüngern am See Genezareth beim Oster­frühstück mit Fisch und Brot, zeigt.


Damit immer noch nicht genug: Seit Weihnachten 2006 sind diese beiden Reliefs, die Bildhauer und Architekt  Andreas Tollhopf, Kassel, gearbeitet hat, vom Antependium, also vor dem Altar stehend, zum Flügelaltar erhoben. Die Nikolaikirche Felsberg besitzt jetzt ein filigranes Kunstwerk in naturbelassenem Eichenholz und gewachstem fahr- und drehbarem Stahlgestell, welches Kunstschmiedemeister Michael Possinger, Guxhagen, geschaffen hat. Flügelaltäre sind eine auch niederländische, besonders aber norddeutsche Sonderform eines Altaraufsatzes, Retabel, genannt. Auch die Nikolaikirche Felsberg besitzt nun einen Flügelaltar, richtigerweise gesagt allerdings: Der Weg zum künstlerisch fertigen Flügelaltar muss noch erfolgreich gegangen, sprich finanziert werden.


Seit Weihnachten 2006 kann jeder hier sehen, wie ein Flügelaltar gehandhabt wird, damit er dem Gebet und den dargestellten biblischen Erzählungen an allen Sonntagen und Festen des Kirchenjahres dienen kann.  Diese Sonderform des Altaraufsatzes ermöglicht in ihrer Abwechslung, sich in jeder Kirchenjahreszeit auf ein anderes Bild einzustellen. Die Flügel an einem solchen Altar werden nämlich auf- und zugeklappt, weshalb man den Altar auch Klappaltar nennen darf. In Felsberg ist diese Variabilität noch in einer wahrscheinlich erst- und einmaligen Weise gesteigert worden: Kunstschmiedemeister Michael Possinger hat zusammen mit Bildhauer Andreas Tollhopf die Idee von Pfarrer Friedrich Werner verwirklicht, sowohl einen Klapp- als auch einen Drehaltar herzustellen. Der ganze Altar, bestehend aus sehr schwerem Eichenholz, besitzt nicht nur an je beiden Seiten einen Flügel, sondern zwei, insgesamt also vier. Und der ganze Altar wurde mittig auf einem Kugellager platziert, so dass er ganz leicht drehbar ist. Bemerkenswert sind auch die von Michael Possinger geschmiedeten Scharniere, die kaum sichtbar die schwere Last der Flügel tragen und deren Schwenkbarkeit eine kaum glaubliche  Leichtigkeit verleihen. Damit aber mit der Flexibilität immer noch nicht genug, denn das Kunstwerk steht auch noch fahrbar auf in den Fußboden eingelassenen Schienen, so dass der Bilderaltar auch näher zum Tischaltar oder weiter nach hinten an die Wand geschoben werden kann, damit bei Bedarf, wie z. B. bei Chor- oder Orchesterkonzerten oder bei der Wandelkommunion, der nicht gerade üppige Altarraum voll genutzt werden kann.


Stolz ist man in Felsberg auch darauf, dass Andreas Tollhopfs Reliefbildhauerkunst eine zeitgenössische ist. Flügelaltäre von Künstlern unserer Zeit sind eine Rarität auf der Welt. Denkt man z. B. nur an den berühmten Isenheimer Altar, stets stammt die Kunst aus früheren Jahrhunderten, und der Isenheimer Altar steht zudem demontiert und entfaltet in einem Museum.


Die Methode, Bilder, auf welchem Material auch immer, Holz, Stein oder Metall, als Reliefs zu arbeiten, ist Jahrtausende alt und besonders in den Ursprungsländern unserer Religion, nämlich dem sogenannten fruchtbaren Halbmond, den Ländern an Euphrat und Tigris über Israel bis an den Nil beheimatet. Wie ein Halbmond legen sich die Länder der Buchreligionen um die arabische Wüste. Die Reliefkunst kann die Bilder auf dem Material erhöht aufbringen, dann wird das Material rings um die Bilder ausgehauen, oder das Relief wird so gehauen, dass die Bilder in das Material hinein gearbeitet werden. Andreas Tollhopf hat auf geniale Weise beide Reliefmöglichkeiten in sich vereinigt.


Gearbeitet hat er Negativreliefs, aber bei geeigneter Beleuchtung entsteht der optische Eindruck, es sei ein Positivrelief. Und außerdem kann für unser Auge der Effekt entstehen, dass der Eindruck positiv oder negativ umspringt, sogar zwischen den dargestellten Personen unterschiedlich wahrgenommen wird. Dieser Effekt dient ganz besonders der meditativen Betrachtung, ist möglicherweise auch von der jeweiligen Befindlichkeit des Betrachters abhängig. Ob überhaupt jemals ein Künstler diesen Effekt bewusst gestaltet und erfunden hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Die beiden Hauptwerke, das Weihnachts- und das Osterrelief dienen seit 1998 bzw. 2002 der Meditation des Betrachters. Mit den Flügeln sollen Ostern und Weihnachten zu einem prächtig aufgeklappten Gesamtbild erweitert werden, zu Weihnachten bestimmt noch durch die Darstellung der Hirten und der Weisen, zu Ostern wird wahrscheinlich ein Blick aus dem leeren Grab in die Zukunft hinein und eine Pfingstdarstellung folgen, Fertiggestellt noch im Jahr 2010. Seit Ostern 2010 sind Tauf- und Abendmahlsflügel vollendet, die für die Passions- und die lange Trinitatiszeit über den Sommer hinweg gedacht sind. Es fehlen dann nur noch die Advents- und erweiterte Weihnachtszeit. Zugeklappt hat der Altar jeweils nur die Größe der Reliefs, wie wir sie früher vor dem Altar stehend kannten, aufgeklappt aber, wie die Flügel eines Adlers in der Weihnachtszeit und in der Osterzeit - mit Pfingsten - in dann doppelter Größe. Mindestens zwei Einzelreliefs werden, wenn der Flügelaltar einmal vollendet sein wird, an jedem Sonn- und Feiertag zu sehen sein.


Stand: Juni 2010,
Verfasser: Pfarrer i. R. Friedrich Werner

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